Eine von Angst getriebene Gesellschaft?
Durchführung des dritten politischen Café am Gymnasium Alexandrinum mit Oberbürgermeister Sauerteig
Am Mittwochnachmittag erwarteten zwei zehnte Klassen den Oberbürgermeister zum Gespräch bei Kaffee und Kuchen; bereits zum dritten Mal öffnete das politische Café seine Pforten, ein Kommunikationsformat, bei dem Schüler und Schülerinnen mit Politikern und Wissenschaftlerinnen in gemütlicher Atmosphäre über die gegenwärtigen Probleme ins Gespräch kommen sollen.
An diesem Mittwoch besuchte Dominik Sauerteig, Oberbürgermeister der Stadt Coburg, das politische Café und stellte sich den gespannten Fragen politisch interessierter Zehntklässlerinnen des Gymnasiums Alexandrinum.
Zu Beginn des Austauschs wies Sauerteig auf die derzeit schwierige politische Gemengelage hin. „Die Gesellschaft verändert sich vor unseren Augen“, so der Oberbürgermeister. Seit der Flüchtlingskrise und Corona, mit der derzeitigen Krise in vielen Teilen der Gesellschaft sei die Gesellschaft sehr empfindlich geworden. „Wir regen uns schnell über Kleinigkeiten auf, verlieren den Blick für das Große, den Blick für die eigentlichen Probleme“, stellte der SPD-Politiker in seinem Eingangsstatement fest. Derzeit herrsche eine Empfindlichkeit in der Gesellschaft, die sich auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erstrecke. Und das wiederum erschrecke ihn, so der Oberbürgermeister.
Eine überempfindliche Gesellschaft? „Es ist eine Angst vor den notwendigen, den anstehenden Veränderungen“, befand Tobias Pohl in seiner Moderation zwischen den Schülern und Schüleriinnen und dem Oberbürgermeister. Diese könne man durch die derzeitigen Krisen in Deutschland und Europa, aber auch in der Welt erklären, diese werde zudem unterstützt durch das Befeuern eines Gegeneinanders gesellschaftlicher Gruppen, so der Oberbürgermeister weiter. „Sich von der Angst leiten zu lassen, ist nicht sinnvoll, um die derzeitigen Probleme in ihrer Komplexität zu begreifen und differenziert zu lösen“, postulierte Sauerteig.
Dem pflichtete das Auditorium bei: Populisten und Extremisten, so ein Zehntklässler, griffen den Veränderungsdruck auf und würden so als diejenigen wahrgenommen werden, die die Veränderungen positiv gestalten würden. „Das aber, was sie anbieten, hat nichts mit einer Veränderung hin zur Moderne zu tun.“ Es ist eher ein Weg von der Moderne ins Gestern zurück.
In diesem Wandlungsprozess verändert sich nicht nur das Miteinander in der Gesellschaft, es verändert sich der Dialog sowie die Sprache hierzu. „Der Dialog verroht, ein politischer Austausch findet kaum noch statt. Es werden Wörter in die Debatte gestreut, die allein durch ihre Geschichte warnen“, so der Oberbürgermeister. Dabei benutzt man die sozialen Netzwerke, bedient sich unterschwelliger sprachlicher Möglichkeiten und Angebote, verfängt die Nutzerinnen, vor allem die Jugend, mit beiläufigen Clips und Meinungen … „Es ist schwer, sehr schwer, wirklich zu erkennen, wenn man von Rechtspopulisten eingefangen wird“, so eine Schülerin im Austausch mit Sauerteig. Dabei werden die jungen Menschen über die Mittel und Methoden Rechtsextremer im Unterricht aufgeklärt, aber die professionelle Nutzung all der medialen Mittel und Möglichkeiten erleichtert den rechtsextremistischen Rattenfängern das unterbewusste Einfangen derjenigen, die doch eigentlich ihre Freiheit lieben.
Der öffentliche Diskurs, so scheint es, wird durch eine bis dahin nie gekannte Oberflächlichkeit und Kontroversität geprägt. Dabei schaffen es rechtsextreme Kräfte immer wieder, den Diskurs durch Vereinseitigungen zu bestimmen. „Warum nehmen wir die Verbote der Grünen wahr, aber nicht die Verbotsvorschläge der anderen?“, so ein Schüler im Laufe der Diskussion. Man wehre sich gegen alle Verbote, so Pohl, deshalb verbiete man u.a. das Gendern. „Finde den Fehler!“ Ähnlich sah es der Oberbürgermeister. „Gesetze müssen das öffentliche Leben regeln: Sie schaffen einerseits Möglichkeiten, formulieren andererseits aber auch Verbote. Das ist der Charakter eines Gesetzes, dessen Gestaltungskraft.“ Insofern fragte er sich, wie man diese einseitig empfindliche Gesellschaft wieder zurückbringe auf den Konsens, dass Gesetze das öffentliche Leben zu regeln haben, folglich im Verbot etwas Negatives, aber auch etwas Positives stecke.
Wie aber schafft es unsere Gesellschaft aus dieser Krisen- und Diskursfalle? „Die Politik muss die Probleme klar benennen und Angebote formulieren“, so Sauerteig. Gleichzeitig müsse aber auch die Gesellschaft positiv auf sich blicken, darauf, wie gut es uns gehe und was wir alles erreicht hätten. Es ist ein scheinbar ängstlich-mürrischer Blick in eine ungewisse Zukunft. Das Aufmunternde aber ist doch, dass die Zukunft noch nicht geschrieben ist und wir als Teil der Gesellschaft diese, auch unsere Zukunft positiv mitgestalten können.
„Hierzu müssen wir zurückfinden in den Dialog. Als ob wir die uns gefühlt geklaute Sprache zurückklauen müssen“, so Pohl. Überwinden wir die Sprachlosigkeit, wehren wir die Sprachvereinfachung und deren Verrohung ab, schaffen wir das. „Allein dieser Dialog zeugt davon, dass wir hier im Kleinen auf einem guten Weg sind. Vielleicht ist das ein Beispiel für das Große im Land“, so Dominik Sauerteig.