Am 20. März 2023 wurde am Gymnasium Alexandrinum Coburg die Veranstaltungsreihe ,,Demokratie – Deine Chance, Deine Aufgabe, Deine Verantwortung!“ eröffnet. Zum Auftakt fand in der Aula vor und mit den zehnten Klassen ein Streitgespräch statt, bei dem die Frage diskutiert wurde, warum Demokratie unsere Aufgabe ist.

Miteinander diskutiert haben die Lehrkräfte Frau Flach und Herr Pohl und Frau Dr. Taubenböck vom Wertebündnis Bayern. Anwesend waren auch Herr Andreas Schadt von iTV Coburg und Herr Uwe Keller von der Abteilung People & Culure der HUK Coburg als Vertreter der Jury für den damit verbundenen Kurzfilmwettbewerb. Frau Flach vertrat in der Debatte eine partizipative Position, d. h. sie vertrat die Meinung, dass man die demokratischen Spielregeln auf alle Bereiche des Lebens ausweiten sollte. Herr Pohl stellte somit den Kontrast, er stand auf Seiten des elitären Demokratiebegriffs und befürwortete Demokratie als Kerngeschäft gewählter Abgeordneter. Dazwischen nahm Frau Dr. Taubenböck die Position des Wertebündnisses Bayern ein.

Zunächst wurde über die Frage nach der Ausweitung des Wahlrechts debattiert. Herr Pohl machte schnell klar, dies sei für ihn keine Option. Er sah die Gefahr, dass extreme Parteien durch populistische Propaganda und einfache, nicht in die Tat umsetzbare Versprechen, gerade die jüngere Generation auf ihre Seite ziehen würden. Frau Flach und Frau Taubenböck waren sich zu dieser Frage einig und entkräfteten sofort Herrn Pohls Argument: Die U18-Wahlen an bayrischen Schulen haben immer wieder gezeigt, dass die jüngere Generation mehr zu Grünen und FDP tendiert als zu rechtspopulistischen Parteien. Auch weitere Entgegnungen Herrn Pohls, wie zum Beispiel die hohe Verantwortung, die mit der Absenkung des Wahlalters einhergeht, wurden mit ebenso starken Argumenten widerlegt. Uneinig wurden sich Frau Flach und Frau Taubenböck allerdings, als der Vorschlag, ab der Geburt wahlberechtigt zu sein, aufkam. Für Minderjährige würden so die Eltern abstimmen dürfen, das würde Familien mit mehreren Kindern eine höhere Stimmkraft geben und sie so privilegieren, meinte Frau Dr. Taubenböck. Darüber hinaus wüssten die Eltern häufig nicht, was ihre Kinder wählen würden, warfen mehrere Schülerinnen und Schüler ein.

Das zweite Thema war die politische Verantwortung Jugendlicher und inwieweit sie diese übernehmen könnten. Frau Dr. Taubenböck warf in den Raum, Jugendliche hätten nicht die Möglichkeiten dazu, eine solche politische Verantwortung zu übernehmen, selbst und gerade, wenn sie es wollten. Herr Pohl stellte hingegen die Frage, ob Schülerinnen und Schüler überhaupt befähigt dazu wären, wo sie doch nur am Klima interessiert seien. Dies stieß aber sowohl bei Frau Taubenböck als auch bei Frau Flach auf vehementen Widerstand. Im Gegenzug wurde die Frage nach einem Wahlhöchstalter gestellt, also ob man ab einem bestimmten Alter nicht mehr zur Wahl zugelassen werden sollte. Dies wurde aber durch Zwischenmeldungen des Publikums klar als undemokratisch abgelehnt. Es wurde hier ein wichtiger Punkt angesprochen von einem Schüler, der meinte es sei wichtiger auf den Inhalt  als auf die Identität des Politikers zu achten. Alle Schülerinnen und Schüler waren sich hier einig: zwar sollten die Älteren sensibilisiert werden, um mehr auf die Meinungen und Bedürfnisse der Jüngeren zu hören, da sie noch länger auf der Erde weilten, aber trotzdem sei eine Repräsentation des Volkes nur möglich, wenn Alt und Jung zusammen auftraten und füreinander eintraten.

Frau Flach eröffnete den dritten Themenbereich mit einer Querschnittstudie aus der Schweiz, die 2017 wissenschaftlich nachgewiesen hatte, dass Schülerinnen und Schüler von der Grundschule bis zu den weiterführenden Schulen politische Verantwortung übernehmen wollen; das Problem hierbei ist jedoch, dass der Raum hierfür in den Schulen nicht vorhanden ist, weil der Notendruck zu hoch ist. Schülerinnen und Schüler können sich in Schulparlamenten mit den ersten politischen Themen auseinandersetzen und mit teilweise eigenem Budget dürfen sie Entscheidungen treffen, wie vielleicht den Schulhof neu zu gestalten. Schulen identifizieren sich somit als Einübungsbereich für politische Verantwortung, so Frau Dr. Taubenböck. Frau Flach machte hingegen darauf aufmerksam, dass Schulparlamente viel Arbeit und Aufwand bedeuteten, aber nicht besonders effektiv seien. Frau Dr. Taubenböck entgegnete jedoch mit dem Argument, dass es in ehrenamtlich agierenden Stadträten kleiner Städte nicht unbedingt anders aussähe und ein Schulparlament helfen würde, die Schülerschaft politisch zu bilden. Dahingegen zeigte Herr Pohl auf, dass ein Schulparlament durchaus überfordernd für die Schülerinnen und Schüler sein könnte. Dies ließe sich jedoch nicht durch die Realität bestätigen, so Frau Dr. Taubenböck. Man müsse die Jugendlichen mal so einer Situation aussetzen, entgegnete sie, und ja es gäbe Meinungsfreiheit, aber keine Widerspruchsfreiheit. Somit müssten gerade Jugendlich lernen mit Kritik erwachsen umgehen zu können und das lerne man nur, wenn man in das Geschehen mit einbezogen würde.

Als vierter und letzter Themenblock folgten die Formen der Verantwortungsübernahme. Hierbei standen Schülerdemonstrationen wie „Fridays for Future“ im Fokus. Frau Flach erklärte hierzu, dass solche Schülerdemonstrationen eine wichtige Möglichkeit seien, seine politische Meinung zeigen und dafür einzustehen. Es kamen aber auch Gegenstimmen auf, die gerade Demonstrationen während der Schulzeit kritisierten und ihre Glaubwürdigkeit hinterfragten: Die Schüler würden sich nur so sehr interessiert zeigen, damit sie die Schule schwänzen könnten. Bei dieser Frage zeigte sich das Publikum erneut sehr aktiv, indem es diese Vorwürfe widerlegte: Demonstrationen während der Schulzeit würden den Forderungen mehr Druck verleihen, für Demonstrationen am Nachmittag würden sich die Medien kaum interessieren.

Als Resümee kann man sagen, dass diese Veranstaltung mehr als erfolgreich gewesen ist und alle Beteiligten sehr engagiert dabei waren. Es lohnt sich diese Veranstaltung fortzuführen, da es eine lehrreiche Erfahrung für Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer war.

Mathilda Schramm, Janos Langer, Katharina Haare (alle 10. Klasse)

Schlafen wir in einer Demokratie ein und wachen in einer Diktatur wieder auf?

Zum vierten Mal in diesem Kalenderjahr hat die durch Demokratie leben geförderte Veranstaltungsreihe „Demokratie – Deine Aufgabe, Deine Chance, Deine Verantwortung, welche zudem durch die Stadt Coburg, die Thomas-Dehler-Stiftung sowie die Petra-Kelly-Stiftung unterstützt worden ist, zu einem Podium eingeladen, zum vierten Mal hat man sich der Frage gewidmet, was man aus der jüngsten deutschen Geschichte lernen könne, welche Hausaufgaben die letzten hundert Jahre deutsche Geschichte der gegenwärtigen Gesellschaft aufgeben und wie man auf Basis der Beantwortung dieser Hausaufgaben die gegenwärtige Demokratie zukunftssicher machen könne.

Niemand hat daran gedacht, dass das Jahr 2023 mehr denn je die Frage nach der Verantwortung für die Demokratie stellen würde. Es ist der fade Beigeschmack einer gefühlten Wiederholung der Geschichte: Das Krisenjahr 1923, Aufstände von links wie von rechts, zudem die Ruhrbesetzung, die damit einhergehende Hyperinflation sowie separatistische Bewegungen; dass die junge Weimarer Republik dieses Krisenjahr überhaupt überstanden hat, gleicht einem Wunder und ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass zum einen demokratisch überzeugte Personen an den entscheidenden Stellen gewirkt haben, so u.a. Friedrich Ebert, der übergroße Sozialdemokrat der damaligen Zeit, als Reichspräsident, so zudem der Reichskanzler Gustav Stresemann, nicht der bekennende Demokrat, dennoch aber der besonnene Anführer in einer Zeit, in welcher durchaus eine größere Mehrheit auf den unbeweinten Untergang der jungen Republik spekuliert hat.

Und 2023? Die Nachwirkungen der Coronakrise, der Krieg in der Ukraine und die Auswirkungen dieser Auseinandersetzungen auf unsere Wirtschaft, der Krieg in Nahost und die zunehmend antisemitische Stimmung, die unser Land packt, schließlich müde wirkende Parteien gegenüber der Tatsache, dass die AfD einen politischen Gipfel nach dem anderen erklimmt und die Parteien sich zunehmend mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie sie mit diesem Höhenflug umgehen müssen.

Gebettet in diese Ahnung des Wiederauflebens des Jahres 1923 erinnert zu Beginn der Veranstaltung Tobias Pohl daran, was das Kalenderjahr 2023 geprägt hat. Die Wahl eines Politikers der AfD zum Landrat in Sonneberg und das auf dem Podium der zweiten Veranstaltung dieser Reihe fassbare Entsetzen ob dieser Entwicklung; man habe durchaus gewusst, so Tobias Pohl, dass dieser Tag kommen werde. „Wenn dieser Tag dann aber doch eintritt, dann schmerzt es dennoch, obschon man sich darauf vorbereitet hat.“, so der Moderator der Veranstaltung. Daneben ein nicht typischer Landtagswahlkampf in Bayern, der in seinem Ende durch die Affäre um Hubert Aiwanger maßgeblich geprägt worden ist: Ein Flugblatt, dessen Inhalt einen schändlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit offenbart, eine Debatte um die Frage, inwieweit dies als Jugendsünde durchgeht, eine Debatte um die Rolle der Medien und schließlich ein Ergebnis, bei dem die Freien Wähler haben zulegen können, bei dem die Delegation der Freien Wähler, die zu den Koalitionsverhandlungen geladen worden ist, zuvor erst einmal ein demokratisches Bekenntnis hat leisten sollen … Ein charakterlich scheinbar neuer Wahlkampf, Sünden, die als Sünden gebrandmarkt werden, bei denen aber diejenigen kritisiert werden, welche diese Sünden offengelegt haben, und schließlich ein erzwungenes Demokratiebekenntnis unter Demokraten.

Es ist ein Ausschnitt, der die Bedrücktheit der letzten Debatte offenbart hat. Ist unsere Demokratie in Gefahr? Mitnichten, so scheint es, denn auf dem Podium hat Leo Grau, Schüler des Gymnasiums Alexandrinum, mit debattiert. Folglich scheint alles in Ordnung, die Generation der zukünftigen Demokraten wächst in ihre Aufgabe hinein, wächst in ihre Verantwortung hinein.

Ist die Demokratie in Gefahr? Leo Grau, den eben Gelobten, hat zu Beginn der Debatte der Ausgang der U-18-Wahl geschockt. Dass die GRÜNEN diese Wahl gewinnen würden, überrascht nicht, auch ihn nicht, der bei den Jungen Liberalen mitwirkt; dass die AfD ihr Ergebnis aber verdoppeln würde, macht Angst. Auch ihm! „Dass diese Partei keine Lösungen anbietet“, so der Schüler: „ist analytisch zu einfach. Die AfD spricht Themen an, welche die anderen Parteien nicht so richtig ansprechen.“ Bei denen den Parteien die richtigen Vokabeln zu fehlen scheinen. Das Erschreckende, so der junge überzeugte Demokrat weiter, ist nicht nur, dass die AfD es schafft, diese Themen in der allgemeinen Wahrnehmung zu besetzen, „das Erschreckende ist, dass die breite Mehrheit diesen einfachen Antworten vertraut, obschon sie weiß, dass diese Angebote keine Lösung der komplexen Probleme darstellen.“ Eine unglaubliche Weitsicht.

Infolgedessen stellt sich dem Podium die Frage, warum die breite Masse der Menschen in diesem Land den verführerischen Antworten Glauben schenkt, obschon sie es besser wissen müsste. Es ist der Ausdruck der eigenen Verunsicherung, so das Podium. „Nein!“, so Dr. Andrea Taubenböck vom Wertebündnis Bayern e.V.: „die Geschichte wiederholt sich nicht. Es ist einfach ein beklemmendes Gefühl der Überforderung mit der Wirklichkeit.“ Es ist die einfache Wahl: Anstatt sich mit den komplexen Problemen der Welt auseinanderzusetzen und sinnvollen Lösungen zu suchen, ist es die Angst um den eigenen Wohlstand, die gefühlte Gefahr, das anerzogene Gefühl von Wahrnehmung und Leben aufs Spiel zu setzen.

Resigniert stellt Dr. Simon Scheller, Politikwissenschaftler der Universität Bamberg fest, dass die Gesellschaft nicht mehr richtig streiten könne. Gerade jetzt muss man auf der Basis von Fakten debattieren, durchaus auch emotional. „Ich vermisse diesen Streit in einer Demokratie. Demokratie ist Streit!“, so der Wissenschaftler. Gleichwohl gibt er zu, dass jene Streitkultur einen Demokraten benötigt, der sich der Probleme bewusst ist, der sich auf Basis dieses Bewusstseins dazu durchringt, sich für die Lösung dieser Probleme einzusetzen, der sich einbringt, der Mut aufbringt … „Reflektiere ich mein bisheriges Leben ein wenig, dann bin ich ein wenig traurig.“, so Dr. Scheller. Er sei Politikwissenschafter, sehr gern, aber angesichts dieser Entwicklungen scheinbar dann doch etwas zu wenig Demokrat, denn er ist „zu wenig aktiv gewesen, [hat] sich etwas zu wenig eingebracht.“ Dabei wünscht er sich die Debatte mit den Anhängern der AfD; aber er fragt auch, ob die Debatte mit den Anhängern der AfD etwas nützt, ob sie wirklich dazu beitragen kann, dass Probleme sinnvoll und langfristig angegangen und gelöst werden können.

Ist die Demokratie in Gefahr? An dieser Stelle erinnert Tobias Pohl an eine Veranstaltung mit Frau Prof. Dr. Münch. Dabei hat die Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing darauf hingewiesen, dass trotz des unveränderlichen Verfassungskerns und der Wehrhaftigkeit der Demokratie unsere Demokratie dennoch in Gefahr ist. „Man kann sie dann doch recht einfach abschaffen, vor allem dann, wenn diejenigen, die auf diese vertrauen, aber nicht aufmerksam genug sind, es zulassen!“, so Tobias Pohl in die Runde einer nunmehr geschockten Schülerschaft.

Demokratie kann man nur verteidigen, wenn man weiß, wie sie funktioniert, worauf es ankommt. Dr. Taubenböck macht noch einmal deutlich, dass die Demokratie die einzige Herrschaftsform sei, die man erlernen müsse: „Es geht darum, zu verstehen, dass das Finden von Kompromissen nicht einfach ist, dass das Miteinander nicht einfach ist, dass das Ringen um die sinnvollste Lösung nicht einfach ist. Das alles aber setzt voraus, dass man als Demokrat versteht, dass die demokratischen Prozesse langwierig sind, dass sie Zeit brauchen, dass sie immer wieder in Frage gestellt werden können.“

Aber? Aber! „Wir sind die Bevormundung aus dem Unterricht gewöhnt.“, so Rebekka Pohl: „Wir greifen politische Themen auf und reflektieren recht oberflächlich mögliche Lösungen; zu Kontroversen aber werden wir doch im Unterricht kaum eingeladen.“ Ein erschreckendes Bekenntnis. Schule müsse doch mehr leisten, so Dr. Scheller. Aber auch hier stellt man fest, dass Schule eben Schule ist, Schule bleibt. „Im Sinne der Streitkultur ist es wichtig, auch die Vertreter der AfD einzuladen.“, so der Bamberger Politikwissenschaftler weiter: „Es geht nicht darum, ihnen eine Bühne zu bieten; es geht darum, im politischen Streit deren Lösungsangebote zu prüfen.“ Und festzustellen, dass deren Lösungsangebote an deren kindischer Simplifizierung scheitern!

Aber Schule kann sich diese demokratische Herausforderung der Streitkultur nicht leisten. Dazu ist man Schule.

Dennoch müsse man, so Uwe Keller, HUK-Coburg, man mehr tun. Gerade jetzt, in der Krisenzeit, in welcher Ängste und Sorgen breite Teile der Bevölkerung dazu verführen, jenseits der Mitte zu wählen, gerade jetzt muss man als Demokrat aufstehen und Mut beweisen. „Ich glaube, dass die gesamte Zivilgesellschaft hier mehr in die Verantwortung genommen werden muss.“, so Keller.

Verantwortung. Mut. „Seid ihr zu brav?“, fragt schließlich Tobias Pohl in die Runde. Stille. Die Schüler schauen merkwürdig beklommen zum Moderator. Schließlich steht eine Schüler*in auf und beweist eigentlich das Gegenteil. Und trotzdem sagt sie: „Ja, sind wir!“

Wollen wir die Demokratie verteidigen, müssen wir anfangen, sie zu verteidigen: Dies bedeutet sicherlich, über die einfachen Lösungen hinweg die komplexen Probleme zu betrachten, sich eine Meinung zu bilden – und vor allem den Mut aufzubringen, diese Meinung dann auch zu vertreten. Sicherlich nicht laut, aber laut genug, dass sie gehört werden kann!