Kindheit in Vimmerby
In der historischen schwedischen Provinz Småland – bekannt vielleicht auch durch den Namen der Kinderbetreuung des Einrichtungskonzerns IKEA – wurde 1907 Astrid Anna Emilia Ericsson geboren.
Umgeben von der „Geborgenheit und Freiheit“ der kleinen Ortschaft Vimmerby, wie sie einmal selbst sagte, erlebte die junge Astrid eine äußerst glückliche Kindheit mit ihren drei Geschwistern.
Astrids Eltern konnten davon überzeugt werden, ihrer Tochter eine weiterführende Schulbildung zu ermöglichen, während der sie vor allem Sprachen, wie Englisch, Französisch und Deutsch erlernen sollte.
Nach einer 9-jährigen Schullaufbahn schloss Astrid diese mit dem Realexamen erfolgreich ab und betätigte sich fortan als Haustochter auf einem anderen Familienhof. Dieser Status kommt dem heutigen Begriff „Au pair“ nahe. Astrid sollte lernen ihren häuslichen Pflichten nachkommen zu können.
Karriere
Mitte der 1920er Jahre erhielt Astrid das Angebot als Volontärin bei der örtlichen Zeitung zu arbeiten. Dort kam sie mit dem journalistischen Arbeiten wie Recherche, Korrektur lesen und Kurzberichte verfassen in Kontakt.
Aufgrund einer Liebesbeziehung mit den Chefredakteur der „Vimmerby Tiding“ wurde die nur 18-jährige Astrid schwanger.
Die junge Frau erhielt einen Heiratsantrag, lehnte diesen jedoch ab und verließ kurz darauf ihren Heimatort, um nach Stockholm zu ziehen.
Dort fand sie eine Ausbildungsstelle als Sekretärin, sowie Unterstützung bei der Anwältin Eva Andén, die sich sehr für die Rechte junger Frauen einsetzte.
Mit einem unehelichen Kind auf dem Weg, war die junge, verzweifelte Frau gezwungen, 1926 ihren Sohn Lars heimlich in einem Krankenhaus in Kopenhagen zur Welt zu bringen.
1927 nahm Astrid dann eine Stellung bei einer Buchhandelszentrale in Stockholm an. Im Jahr darauf wurde sie Sekretärin im „Königlichen Automobil-Club“, wo sie Sture Lindgren kennenlernte. Die beiden heirateten bald darauf, und im Mai 1934 wurde ihre Tochter Karin geboren.
Zu Beginn des 2. Weltkrieges, mit dem Überfall auf Polen, begann Astrid Lindgren „Kriegstagebücher“ zu verfassen, die tiefe Einblicke in die geheime Arbeit des Nachrichtendienstes, bei dem sie angestellt war, bieten.
Nach vereinzelten Veröffentlichungen während der 30er Jahre, wandte sich Astrid Lindgren erst Mitte der 1940er Jahre verstärkt der Schriftstellerei zu.
Eher zufällig und inspiriert von ihren Kindern, sowie der eigenen glücklichen Kindheit in Vimmerby erfand Astrid immer mehr Kindergeschichten, mit denen sie auch an Wettbewerben teilnahm.
Pippi Langstrumpf
Zum Anlass des Geburtstages ihrer Tochter Karins Geburtstages erweckte Astrid Lindgren 1944 die heute allzu bekannte Kinderbuch-Geschichte des stärksten Mädchen der Welt zum Leben.
Das kleine rothaarige Mädchen mit dem Affen und dem Pferd auf der Veranda hat sicherlich nicht nur meine Kindheit stark beeinflusst. Pippi lebt den Traum jedes Kindes. Sie lebt alleine in ihrer Villa Kunterbunt, darf also ganz über sich selbst bestimmen und erlebt mit ihren beiden Freunden Tommy und Annika die besten Abenteuer.
Die 9-Jährige gilt als literarisches Vorbild für die Frauenbewegung und den Feminismus.
Pippi bricht die gesellschaftlich vorgegebene Geschlechterrolle mit ihrem rebellischen und nonkonformistischen Verhalten, weshalb ihr gelegentlich auch anarchistische Züge zugeschrieben werden. Das Buch soll laut Lindgren „Generationen von Mädchen ermuntern, Spaß zu haben und an die eigenen Fähigkeiten zu glauben“.
Dieses in über 70 Sprachen übersetze Meisterwerk ist für viele das Kinderbuch schlechthin und verkörpert mit Pippi Langstrumpfs unkonventionellem Verhalten und Aussehen das genaue Gegenteil des damaligen Mädchen-Stereotyps.
„Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“.
Diesem Spruch aus der Kindergeschichte liegt das bekannte Pippi Langstrumpf Prinzip, kurz PLP, zugrunde. Gerade große Unternehmen bedienen sich immer häufiger dieser Strategie, indem sie aktuelle Entwicklungen vollkommenen missachten, um Erfolge zu erzielen.
Dieser Spruch hat sogar Eingang in unternehmensstrategischen Fachjargon gefunden, als PLP, kurz für „Pippi Langstrumpf Prinzip“, bezeichnet dieser Begriff die Tendenz vor allem von großen Unternehmen mit Marktführungsposition, aktuelle Trends und Veränderungen in Kundenverhalten und Kundenwünschen zu missachten und dadurch Misserfolge einzufahren. (https://www.stefan-westphal.de/tag/pippi-langstrumpf-prinzip/)
Lindgrens Geschichte des ungewöhnlich starken, selbstbewussten, rothaarigen Mädchens ernte jedoch auch Kritik.
Pippi sei nicht „normal“ und mit ihrer Art ein schlechtes Vorbild für junge Mädchen. Außerdem gab es seit den 1970er Jahren Vorwürfe wegen der Darstellung von Schwarzen in den Kinderbüchern.
Deshalb wurde beispielsweise Pippis Vater vom Negerkönig der Originalausgabe in Südseekönig umbenannt.
Politische Tätigkeit und Einfluss
Geschichten wie „Britt-Mari erleichtert ihr Herz“ sprühen nur so von der bemerkenswerten Selbständigkeit, sowie Unabhängigkeit des weiblichen Geschlechts, weshalb Lindgren bis heute als feministisches Vorbild gilt.
Seit den 1930er Jahren war Astrid Lindgren Mitglied bei den schwedischen Sozialdemokraten.
Sie setzte sich vielfach für die Rechte von Kindern und auch Tieren ein, so dass das 1988 in Schweden erlassene Gesetz zur Tierrechts-Kontrolle in der Massentierhaltung ihrem Einfluss verdankt werden kann.
Bis heute kann die Schriftstellerin als Vorbild dienen, das sich in einer Männer-dominierten Welt durchsetzte und Generationen später noch ihre Lektionen und Überzeugungen mitgibt.
Mit ihrem Buch „Kati in Amerika“ (1950) äußerte Astrid Lindgren besonders Kritik an dem System der Rassentrennung in den USA.
Preisverleihungen
Anlässlich der Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der ihr als erste Kinderbuch-Autorin verliehen wurde, hielt Lindgren eine Rede unter dem Motto „Niemals Gewalt“. Sie befürwortete darin besonders eine gewaltfreie Erziehung von Kindern.
Aufgrund ihrer schriftstellerischen Tätigkeit zugunsten der Rechten und Individualität von Kindern erhielt Astrid Lindgren 1994 den Right Livelihood Award („Alternativer Nobelpreis“).
In Folge ihres unerbittlichen Kampfes um besseres Tierschutzrecht wurde der Schriftstellerin 1996 die Goldene Arche überreicht.
Zudem ernannte man sie zur Schwedin des Jahres 1997.
Ende ihres Lebens und Erbe
Im Alter von stolzen 94 Jahren erkrankte Astrid Lindgren an einem Virus und starb kurz darauf in ihrer Stockholmer Wohnung am 28. Januar 2002.
An ihrer Gedenkfeier im März 2002 nahm das schwedische Königshaus, der Premierminister, sowie hunderttausende Menschen auf den Straßen teil.
Ihre letzte Ruhe fand Astrid in ihrem Geburtsort und der Inspiration für viele ihrer Geschichten Vimmerby.
Noch heute lassen sich eine Menge Spuren der berühmten Autorin im Småland und ihrem Hauptwohnort Stockholm finden, so dass Astrid Lindgrens Erbe nicht in Vergessenheit gerät.
Bis zu diesem Tag lesen Kinder Geschichten von Michel aus Lönneberga oder fiebern mit, wenn Ronja Räubertochter durch den Wald streicht und lernen dabei Lektionen, die sie auf das Erwachsensein vorbereiten.
Astrid Lindgren schafft es mit ihren Geschichten, die direkt an Kinder gerichtet sind, sie zu erziehen und ihnen etwas für das Leben mitzugeben.
Zeitlebens beharrte die Autorin immer wieder auf einer gewaltfreien Erziehung ohne Demütigungen, Strafen und übermäßiges Schimpfen, was auch deutlich aus Geschichten wie der des kleinen Michels herausgelesen werden kann. Dieser wird als Bestrafung von seinem Vater regelmäßig in den Schuppen gesperrt, um über den Unfug, den er angestellt hat, nachzudenken. Ein solches Verhalten kritisierte Lindgren sehr und war damit zwar eine moderne und vorbildliche, aber zu Lebzeiten auch vielseitig kritisierte, Denkerin.
Ronja saß lange schweigend da. Dann sagte sie:
„Weißt du, woran ich gerade denke? Ich denke daran, wie leicht man alles ganz unnötig zerstören kann.“
„Dann wollen wir uns von nun an vor allem Unnötigen hüten“, sagte Birk. „Und weißt du woran ich denke? Ich denke daran, dass du mehr wert bist als tausend Messer!“