„Goethe über allem“: Der Besuch der Oper „Fausts Verdammnis“ durch einen Teil der Q11
Es ist ein nicht unbekannter Stoff: Schon über mehrere Jahrhunderte begleiteten Dichter, Musiker und andere kreativ Schaffende den fehl geleiteten Doktor Faustus durch seine kleine, durch seine große Welt … Und ließen den übereifrigen Gelehrten am Ende an sich selbst scheitern. Selbst Goethes Faust, trotz seiner Errettung, bleibt am Ende ein zweifelhafter Held, eine fragwürdige Gestalt des nach Fortschritt und Entfaltung strebenden Individuums.
Hector Berlioz nimmt sich nun der Goethe‘schen Bearbeitung des Fauststoffes an und inszeniert aus einzelnen Episoden und Bildern eine musikalisch gewaltige Oper, die in dieser Spielzeit in der Morizkirche aufgeführt worden ist. Von seinem Leben abgelebt, von diesem ermüdet, vollkommen vereinsamt, fühlt sich der Gelehrte zusehends einer existenziellen Krise gegenüber; in diesem Augenblick verspricht dem am scheinbar sinnlos gewordenen Dasein leidenden Faust Mephistopheles ein neues Leben… Er führt ihn in Auerbachs Keller, weckt Fausts Verlangen nach der jungen Marguerite…und lässt ihn schuldig werden, wie er die junge Tochter dazu nötigt, ihre Mutter für ein Schäferstündchen zu töten.
Es ist der altbekannte Stoff. Und doch ist die in der Morizkirche aufgeführte Inszenierung neu, anders, interessant. Ein übergroßer Chor, der zu Beginn der Oper einzieht und einen abgelebten Faust zu Grabe trägt, Filmszenen und Bilder, welche die Opernhandlung durchbrechen, verfremden, die sieben Todsünden, die im Laufe der Handlung am Rande der Säulen der Morizkirche entrollt werden… Und dazwischen eine kleine Bühne, welche an ein Schachspiel erinnert: Mephistopheles und Gott, die um ein Schachbrett herumsitzen und über den nächsten Zug nachdenken, dazwischen der Mensch, dessen Seele, um die hier gespielt wird.
Die Schülerinnen und Schüler der Q11 sind zu Beginn verwirrt ob der Handlung, verwirrt ob des französischen Gesanges. Langsam aber, im Laufe der Inszenierung, tauchen sie ein in die farbenfrohe Aufführung, das Hin und Her zwischen Gott und Teufel, das kitschige Auftreten der Nebenfiguren in einem scheinbar harmlosen Boxkampf, die tragische Zuspitzung der Handlung um Marguerite, schließlich deren Ende und das Ende des Helden: Faust fällt ins Dunkel hinunter und Mephistopheles scheint zu triumphieren.
Es ist der Zauber dieser Lesart des Stoffes, dass Faust nicht verlieren kann, dass man seine Seele nicht verlieren kann, weil man sie selbst scheinbar nie komplett besessen hat. Faust ersteht, Faust kehrt zurück auf das Schachspiel, welches die Welt und das Leben bedeutet, und Faust sieht sich seiner tot geglaubten Marguerite gegenüber, welche im Brautschmuck zu ihm geführt wird, um ihn zu ehelichen. Welch ein grandioses Finale!
Das Zauberhafte für die Schülerinnen und Schüler der Q11 war nicht nur die Inszenierung, das Wundervolle war vielmehr der Besuch des Musikdramaturgen André Sievers und der Theaterpädagogin Zuzana Masaryk im Anschluss an die Aufführung. Die Schülerinnen und Schüler durften Fragen stellen zum Bühnenbild, zur Requisite, zu den Kostümen, zur Musik. Und urplötzlich gewann der Zauber des Abends einen tieferen Sinn; man verstand das Schachspiel, die Szene zwischen Gott und Mephistopheles am Ende, in der sie ein neues Spiel um eine neue Seele eröffnen, die Farben, den Boxkampf … Man verstand die gewaltig schöne Musik.
Es ist ein Freuen ob des wundervollen Abends – sowie die Vorfreude auf ein Mehr an Theater!