Migration und Integration sind zwei Seiten einer Medaille: Diejenigen, die nach Deutschland einwandern, sind auch diejenigen, die in Deutschland bleiben wollen. Insofern sind Prozesse der Eingliederung nicht erst damit abgeschlossen, wenn diejenigen, die nach Deutschland kommen, ihre Aufenthaltsgenehmigung oder ihre Arbeitserlaubnis erhalten, vielmehr beginnen erst dann die Prozesse einer hoffentlich gelingenden Eingliederung, vielmehr ist die für Migrantinnen und Migranten eröffnete Chance eines Neubeginns in Deutschland zugleich die Bewusstmachung eines Gefühls des Verlustes alter Gewohnheiten, Ansichten und Heimat.

Aus diesem Grund haben die Lehrkräfte der Deutschklasse sowie Tobias Pohl, unterstützt von dem Förderprogramm „Demokratie leben“, mit den hier ansässigen Schülerinnen und Schülern aus Syrien, der Ukraine, Georgien, Polen etc. ein Projekt durchgeführt, bei dem sich diese Schülerinnen und Schüler ihre gemeinsamen Gefühle des Verlustes von Gewohnheiten und Traditionen bewusstgemacht haben, bei dem diese aber ebenso zusammen begriffen haben, dass ihre Ankunft die Möglichkeit auf einen Neubeginn eröffnet hat.

Eingestiegen ist man in das Projekt, indem man die Schülerinnen und Schüler mit ihren Erinnerungen an ihre Heimat konfrontiert hat: Die Sonne und der Strand im Libanon, den eine Schülerin vermisst, das Haus mit dem großen Garten, dessen Verlust ein anderer Schüler betrauert. Im Zuge dieser ersten Annäherung haben manche Schülerinnen und Schüler auch keine Worte finden können; zu sehr hat der Verlust geschmerzt. Eine erste Annäherung, ein Bewusstmachen eines gemeinsamen Schmerzes in jener süß daherkommenden Erinnerung.

Im Anschluss daran hat man den Blick nach vorn gerichtet. Wie haben sich die Schülerinnen und Schüler Deutschland vorgestellt? Unsicherheit und Angst ob des Empfanges in einem fremden Land … Die Sorge bezüglich der zunehmend fremdenfeindlichen Stimmung … Die komplizierte Sprache und der Mut sowie die Entschlossenheit, diese Sprache schnellstmöglich zu lernen …

Im Laufe dieser Annäherungen haben sich die Schülerinnen und Schüler geöffnet. Sie haben sich in Pantomimen ausprobiert, haben ihre Heimatstädte in deutscher Sprache vorgestellt, haben uns auf eine Reise in die Regionen mitgenommen, die sie hinter sich gelassen haben …

Aus einer Erinnerung an die Heimat, die in Ukrainisch, Georgisch, Arabisch verarbeitet und vorgetragen worden ist, ist ein Mut gegenüber der neuen Heimat gewachsen, die in Deutsch ausgeführt worden ist. Ein Mut, der in Träume und Hoffnungen gemündet ist: Schülerinnen, die daran denken, Lehrerinnen zu werden, Ärzte, Ingenieure sein zu wollen …

Und das flüchtige Gemeinsame, dass sie in Deutschland bleiben möchten, weil sie hier eine neue Heimat gefunden haben. Und das fast schon Zerbrechliche, dass sie intensiv Deutsch gelernt haben, darauf bauend, dass ihr deutsches Gegenüber das sieht und anerkennt, auch wenn er weiß, dass das gebrochene gesprochen Wort noch immer unsicher klingt, noch immer den Klang des Fremden besitzt, noch immer nicht Deutsch genug zu klingen scheint …

Trotz der hoffnungsvollen Blicke, der Hoffnung auf ein Hineinwachsen in die deutsche Gesellschaft, trotz der Tatsache, dass sie die einen Ängste überwunden haben – es bleiben die anderen Ängste, hier nie richtig ankommen zu können, weil man nie richtig ankommen kann … Das Brüchige bleibt!

Migration und Integration sind zwei Seiten der Medaille; nicht nur für diejenigen, die zu uns kommen, auch für diejenigen, die hier bereits leben!