„Jede Ähnlichkeit mit realen Personen, tot oder lebendig, ist rein zufällig.“ – Besuch der Farce „Mein Kampf“
„Jede Ähnlichkeit mit realen Personen, tot oder lebendig, ist rein zufällig.“
George Tabori in seiner Farce „Mein Kampf“, Besuch der Theatervorstellung von Schülerinnen und Schüler der Q11
Nicht nur in diesen Zeiten, aber gerade in der heutigen Zeit, in der radikales Gedankengut scheinbar zunimmt, Populisten und Demagogen zunehmend den öffentlichen Raum bestimmen mit vereinfachten, bisweilen sehr platten Parolen, in der leichtfertig die demokratischen Errungenschaften in fragwürdiger Weise kritisiert werden, ist es wichtig, dass die Öffentlichkeit, Kunst und Kultur an den Teil der Geschichte erinnern, der mahnt, dass ein Volk nicht erneut leichtfertig alle modernen Errungenschaften fortwerfe.
Das Landestheater Coburg hat sich in diesem Zusammenhang einem Theaterstoff gewidmet, der grotesk ein grelles Licht auf die NS-Vergangenheit wirft. George Tabori, welcher in enger Zusammenarbeit mit Becket zum grotesken Theatermacher herangewachsen ist und 1992 den Georg-Büchner-Preis gewonnen hat, hat eine Farce verfasst, die bereits in ihrer Grundanlage nicht komischer sein kann: Der Jude Schlomo Herzl trifft im unruhigen Wien um 1910 auf den noch vollkommen unbekannten Adolf Hitler und begeht in einer beiläufigen Nettigkeit den Fehler, aus diesem bemühten Künstler nunmehr einen Politiker zu machen. Dabei ändert er dessen Aussehen, nimmt Einfluss auf dessen Auftreten, schließlich hilft er ihm sogar, politische Schlagwörter seiner bereits damals schon angedeuteten, schneidenden Rhetorik anzupassen. Ein Fehler, den er erst viel zu spät bemerkt …
Der Wahnsinn des Stücks besteht darin, dass die Farce historische Fakten mit grotesken Verwicklungen verbindet, gespielt vor einem Publikum, welches um den weiteren Verlauf der Geschichte weiß, welches darum ahnt, dass das bereits da angedeutete Scheusal zu einem Massenmörder werden wird – so dass das Lachen über die Komik der Szenerie des Öfteren einem Schock über sich selbst weicht, einem Schock ob der Tatsache, dass man sich dabei ertappt, über etwas gelacht zu haben, worüber man eigentlich nicht hätte lachen dürfen.
„Aus der Zukunft in die Vergangenheit blicken, um sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen“, heißt es im Programmheft. In der knapp zweistündigen Aufführung begibt sich das Publikum auf eine merkwürdige Zeitreise in den Keller eines Heims für Heimatlose in der Blutgasse in Wien. Die darin interagierenden Gestalten sind übertrieben ins Komische verzerrt; allein die Kostümierung des Lobkowitz, der als Gott angesprochen werden möchte, zeugt von jener Widersprüchlichkeit, die diesem Stück inhärent ist. Doch nicht nur die Kostümierung, nicht nur das Bühnenbild weisen auf eine fatale Gebrechlichkeit der Szenerie hin, auch die Handlungen der Figuren, die Interaktionen. Schlomo Herzl empfindet Mitleid für den mittellosen Künstler, steht ihm bei, hilft ihm, hört seine bereits da formulierten rassistischen Tiraden, denkt sich nicht viel dabei, hilft dem illusionslosen Hitler vielmehr, einen neuen Weg einzuschlagen: Der begabte Redner solle in die Politik gehen; die Politik habe zu wenige verkannte Künstler.
Man habe es mit einem fiktiven Hitler zu tun, einem Landei aus Braunau am Inn, unfähig mit dem Leben in der Großstadt zurechtzukommen, einem Clown, einem Hitler, über den man lachen kann und soll, so Marten Straßenberg, einer der Regisseure der Inszenierung. Ja, man möchte lachen, ja, man lacht über die vielen skurrilen Situationen, in denen der spätere Massenmörder in seiner Lebensunfähigkeit dargestellt wird. Doch ja, man möchte lachen, wenn er redet, wenn er in seinen Redeandeutungen den für den späteren Diktator typischen Sprachduktus annimmt, wenn seine Gestik im Keller des Lebensunfähigen bereits verdächtig an die propagandistisch aufgeladenen Haltungen des Massenverführers erinnert …
Es ist ein Stück Notwendigkeit! Diese Inszenierung zu sehen, um alsdann darüber ins Gespräch zu kommen, hat nicht nur etwas mit einer abendfüllenden Kulturveranstaltung zu tun, dieses Stück hat vielmehr etwas damit zu tun, dass es aufgrund seiner Besonderheit ein Anschauen notwendig macht. Es geht darin nicht um die Vergangenheit – trotz der Tatsache, dass das Stück in einem Wien um die Jahrhundertwende spielt -, es geht darin mehr denn je um die Reflexion der Gegenwart, um die Frage, ob wir als Generation der scheinbar Leichtfertigen zunehmend zu Geschichtsvergessenen zu werden drohen, ob wir als Generation der scheinbar Sorglosen zunehmend Gefahr laufen, ähnliche Fehler zu begehen.
Nein! Geschichte wiederholt sich nicht. Gleichwohl: Es besteht die Möglichkeit, dass eine Blindheit für die Geschichte dazu verleitet, die Lehren aus dieser nicht mehr zu sehen. Das wäre fatal; die Fehler, die man dann begeht, sind andere, das Ergebnis kann aber ähnlich ausfallen.
Tobias Pohl