Prof. Dr. Thomas Baier fesselt seine Zuhörer mit aktuellen Fragestellungen
In einer Doppelstunde stellte Herr Prof. Dr. Thomas Baier, der den Lehrstuhl Latinistik II an der Universität Würzburg innehat, Lateinschülern der Q11 und Q12 Senecas Epistel 47, den sogenannten „Sklavenbrief“, vor. Die Schüler waren begeistert:
„Es war wirklich interessant, einen Teil des Briefes, den wir zuvor auch im Unterricht besprochen hatten, etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Wir lernten einige Wort- sowie Inhaltshintergründe zu den im Brief vorkommenden Wörtern sowie Inhalten, griechische Wörter und Begriffe für die Gliederung des Briefes. Der Vortrag stellte wirklich eine große Bereicherung für uns dar und war eine gelungene Vertiefung des Schulstoffes, die wir gerne jederzeit wieder haben würden. Außerdem war es sehr interessant, die Meinung bzw. Interpretation zu diesem Brief von einem ‚Fachmann’ zu hören. Insgesamt war der Vortrag sehr schülergerecht gestaltet und hat viel Spaß gemacht.“
Dazu berichtete Maja Engelhardt in der
Neue Presse Coburg – 7. Dezember 2016
Im öffentlichen Abendvortrag zum Thema „Seneca als Didaktiker. A spoonful of sugar helps the medicine go down oder non est acerba medicina“ warf Herr Prof. Baier die in der aktuellen Bildungsdebatte oft diskutierte Fragestellung auf, was Erziehung eigentlich bedeutet. Schon in der Antike wurde eine verfehlte Zielsetzung des Lernens kritisiert – etwa in Senecas bekanntem Ausspruch „scholae, non vitae discimus“ (Für die Schule, nicht für das Leben lernen wir). Auswendiglernen, so die Kritik, trete an die Stelle eines wirklichen Verständnisses für die Inhalte. Produkt der Erziehung seien somit laut Seneca „docti“ (Gelehrte), aber nicht „boni“ (moralisch Gute). Das eigentliche Ziel müsse sein, dass der Schüler durch Lernen zu seinem eigenen Wesen finde, dass aus einer „bona voluntas“ (guter Wille) eine „bona mens“ (gute Geisteshaltung) werde. Die Hauptsache in der Erziehung müsse, wie Herr Prof. Baier betont, das authentische Vorleben von Werten sein, die pädagogische Maßnahme bleibe der Sonderfall. Der Erzieher muss also, um ein geeignetes „exemplum“ (Vorbild) abzugeben, v. a. an sich selbst arbeiten.
Immer denkt Seneca bei seinem Erzählen daran, dass das Vermitteln von Inhalten „gaudium“ (Freude) und „impetus“ (Antrieb) erfordert. Er erhebt den Anspruch, didaktisch zu erzählen, er will Geschichten bieten, die im Gedächtnis haften. Und so gleicht er Geschehnisse, deren Plausibiltät nicht von sich aus gegeben ist, mit bekannten Stereotypen ab, bettet sie in einen Kontext ein und interpretiert eigene Motive in sie hinein. Die Ereignisse erhalten somit im Nachhinein den Aussagewert, den Seneca ihnen geben will. Herr Prof. Baier zeigte dies in der Folge am Beispiel des Werkes „de vita beata“. Hier zieht Seneca über sich selbst Bilanz und versucht, die zuvor von dem Konsul Publius Suillius Rufus offengelegten Widersprüche zwischen seinem Leben und Werk zu relativieren, was durchaus nicht ganz einfach ist. Denn nicht ganz zu Unrecht fragt dieser, mit welchem Recht Seneca, der reichste Mann Roms, Armut predige. Wieso er lehre, mit seinem Schicksal zufrieden zu sein, aber selbst im Exil kaum die Fassung wahren konnte. In seinem Werk erschafft Seneca didaktisch geschickt eine Gegenerzählung, eine Selbstverteidigung, die seinen guten Ruf wahren sollte. Darin löst er den sturen Widerspruch der Stoa zwischen „schlecht“ und „perfekt“ auf und legt dar, dass man nicht fehlerfrei sein muss, dass man als einer, der sich bemüht und auf dem richtigen Weg ist, immerhin besser als die Schlechten sei. Er wendet sich gegen Kadavergehorsam gegenüber jedweder Doktrin und verschiebt die Koordinaten der stoischen Lehre damit in seinem Sinn. Er präsentiert sich selbst als goldene Mitte, als einen, der im Notfall auf seinen Reichtum verzichten kann und somit die innere Unabhängigkeit wahrt, und stellt der grauen philosophischen Theorie damit die Buntheit des Lebens gegenüber.