Wo die Gewalt anfängt, hört die Demokratie auf – ein Gespräch mit Dr. Jonas Geissler (CSU), MdB

Wo die Gewalt anfängt, hört die Demokratie auf – ein Gespräch mit Dr. Jonas Geissler (CSU), MdB

Es ist eine zunehmend angespannte Lage: Die um sich greifende Emotionalität weiter Teile der Bevölkerung macht die politische Auseinandersetzung schwierig, erschwert die sachliche Debatte; und doch sind gerade jetzt die faktenorientierte Auseinandersetzung sowie der differenzierende Blick mehr als notwendig, um einerseits politische Entwicklungen abzuschätzen, andererseits sich selbst eine Meinung bilden zu können, die abseits steht von populistischer Vereinfachung und Faktenverweigerung.

In diesem Sinne sprach Dr. Geissler (CSU), MdB, mit Schülerinnen und Schülern der 10. Jahrgangsstufe des Gymnasium Alexandrinum. Zum einen sprachen sie über rechtsextremistische Entwicklungen, zum andern über die Möglichkeiten, die eine Demokratie habe, mit ihren Feinden umzugehen.

So stellte Dr. Geissler die zunehmende Politisierung breiter Teile der Bevölkerung dar: Diese Politisierung sei hochgradig emotional. In diesem Zusammenhang verwies er einerseits auf die Bauernproteste im Winter 2023/24 und andererseits auf die Demonstrationen gegen den Rechtsextremismus im Zuge der Berichte um das Geheimtreffen in Potsdam und die damit bekanntgewordenen Pläne um die „Remigration“, ein Vorhaben, das einer millionenfachen Deportation gleichkomme und verfassungswidrig sei.

Im Zuge des Gesprächs machte er deutlich, dass sich die Situation heute verändert hat. Das Potential für rechtsextremes Gedankengut sei schon immer da gewesen, so der CSU-Politiker, aber bisher hätten die rechtsextremen Parteien und Gruppierungen nicht das Potential entfalten können, um der demokratischen Grundordnung gefährlich werden zu können. Auch sei die AfD nicht immer rechtsextrem gewesen, vielmehr entwickelte sie sich zu einer Partei, die heute in mehreren Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuft werden könne. Gegenwärtig sei es vielmehr die Summe der menschenfeindlichen Bestrebungen, die nunmehr dazu geführt habe, dass breite Teile der bundesdeutschen Bevölkerung auf die Straße gegangen seien, um sichtbar zu sein, Zeichen zu setzen, den radikalen Minderheiten zu zeigen, dass die Mehrheit für eine demokratische Ordnung einstehe. Gerade das Geheimtreffen in Potsdam, das in so vielen Aspekten an die NS-Vergangenheit erinnert habe, sowie die zunehmenden Übergriffe auf Politiker der bürgerlichen Parteien zeigen, dass sich die demokratische Streitkultur wandle, dass der sprachlichen Verrohung sowie einer zunehmenden Geschichtsvergessenheit nunmehr der gewalttätige Umgang folge. „Diejenigen, die im Namen politischer Ansichten Gewalt anwenden, verlassen mit der Gewalttat den demokratischen Boden! Egal, gegen wen sich die Gewalt richtet und aus welchen Motiven man Gewalt anwendet“, so Dr. Geissler.

Ebenso stellte er klar, dass die AfD mit der Angst spiele. Dabei nehme sie die Positionen von bedrohten Minderheiten an und bemühe sich darum, diejenigen abzubilden, die scheinbar nicht abgebildet werden. Problematisch hieran aber sei, so der CSU-Bundestagsabgeordnete, dass die AfD oft nur mit der Angst spiele, dass sie einfache Antworten liefere, welche die komplexen Probleme nicht lösen könnten. So untermauerte er dies mit Blick auf die sogenannte Flüchtlingskrise. „Wir sind nicht in der Lage, alle Flüchtlinge abzuschieben. Wir haben einen Rechtsstaat“, so der promovierte Historiker: „Zudem müssen wir doch anerkennen, dass wir gut ausgebildete Zuwanderer brauchen!“

Die derzeitigen Entwicklungen im Umgang mit Politikern und Politikerinnen bereiten dem CSU-Politiker Sorgen. „Es besteht durchaus die Gefahr,“ so Dr. Geissler: „dass sich die Gewaltspirale weiter nach oben dreht.“ Gerade aus diesem Grund müsse man in den öffentlichen Äußerungen, in den Debatten, mit größtmöglicher Vorsicht kommunizieren. Hierbei kritisierte er alle verbalen Entgleisungen von Politikern gegen Politiker bürgerlicher Parteien, gerade dann, wenn bürgerliche Parteien in die Nähe des Extremismus gestellt würden, seien es nun die GRÜNEN, sei es die CSU. „All die Parteien, die sich klar zum Grundgesetz und unserer Wertordnung bekennen, all diese Parteien sollen sachlich angegangen werden, auch gern polemisch scharf, aber dennoch soll ihnen nicht ihr demokratisches Bekenntnis abgesprochen werden.“ Ein solches Vorgehen sei immer gefährlich, denn es gieße weiteres Öl ins Feuer einer zunehmend hitzigen Stimmung.

Mit Blick auf den Umgang miteinander räumte der Bundestagsabgeordnete ein, dass der Populismus und die Polarisierung in der Debatte durchaus Kinder der Demokratie seien, dass beide durchaus ihre Berechtigung hätten. „Verlässt ein Politiker den Wertekanon unserer Demokratie, nutzt er den Populismus und die Polarisierung gegen unsere Demokratie, dann überschreitet er Grenzen, die wie Gift für jede Demokratie, jede Gesellschaft wirken“, so der CSU-Politiker.

Abschließend jedoch mahnte er die Schülerinnen und Schüler zu mehr Optimismus mit Blick auf die Zukunft. „Wir haben bisher so viel geschafft, so viele Krisen erlebt, so viele Krisen gemeistert. Wir werden auch diese Krise meistern und gestärkt aus ihr hervorgehen.“

Ein wundervoller Aufruf zu einem unverbrüchlichen Vertrauen in unsere Demokratie, in unsere Schaffenskraft und vor allem in unseren Mut, den komplexen Herausforderungen mit Klugheit und Weitsicht sowie der nötigen Debattenfreudigkeit zu begegnen. „Denn Demokratie ist Streitkultur!“, so Dr. Geissler, daran erinnernd, dass schon früher leidenschaftlich gerungen, leidenschaftlich gestritten wurde.

Alex bekennt sich zu Grundwerten der Demokratie

Am Donnerstag, den 29. Februar 2024 versammelten sich zahlreiche unserer Schülerinnen und Schüler aus den beiden sozialwissenschaftlichen Lerngruppen der 8. Jahrgangsstufe  zu einer Symbolaktion auf dem Schulhof, um ein Zeichen gegen menschenfeindliche Einstellungen und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu setzen. OStR Pohl hatte dazu auch den Oberbürgermeister Dominik Sauerteig und verschiedene Mitglieder der Stadtratsfraktionen eingeladen, die der Einladung gerne folgten.

Zu der Aktion gesellten sich spontan noch einige Schülerinnen und Schüler der 10. und 11. Klassen, um ihre Unterstützung des Rechts auf Würde auszudrücken, das das Fundament unserer Verfassung darstellt.

Am Montag, den 04. März besuchen Oberbürgermeister Dominik Sauerteig (SPD), Herr Norbert Tessmer (SPD), Herr Christian Müller (CSB), Herr Dr. Hans-Heinrich Eidt (FDP), Herr Hans-Herbert Hartan (CSU), Herr Thomas Apfel (ProCoburg) und Frau Melanie Becker (Grüne) das Alexandrinum, um mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam eine Podiumsdiskussion zu führen.

Zentraler Inhalt wird die wehrhafte Demokratie sein.

StRin Yvonne Flach

Demokratie lernen? – Indem man Verantwortung für sich in einem Klassenparlament übernimmt

Das Klassenzimmer der 9c ist umgeräumt. Vorn, in der Mitte, dort, wo sonst die Lehrkraft aktiv den Unterricht hält, steht nunmehr ein Rednerpult: Die Macht des Wortes, die Chance auf den geregelten Austausch von Argumenten.

Der Lehrer? Er räumt die Mitte seines Arbeitsbereichs, sitzt am Lehrerpult und eröffnet die erste Sitzung des Klassenparlaments der 9c. Man werde heute darüber abstimmen, ob die Klasse 9c außerhalb der Unterrichtszeit nach Nürnberg ins Reichsdokumentationszentrum fahren wolle.

Die Sitzungsglocke tönt das erste Mal. Tobias Pohl, die Lehrkraft der Klasse 9c, nun reduziert auf den Protokollanten der Sitzung, bittet die erste Rednerin nach vorn. Energisch setzt diese sich für die Fahrt nach Nürnberg ein. Es gehe darum, dass man nicht nur im Klassenzimmer lerne, nicht nur für die nächste Stunde lerne; es geht hier darum, dass man für sich selbst lerne und begreife, dass der Besuch des Reichsdokumentationszentrums im Sinne des Verstehens der eigenen Geschichte förderlich, gut und sinnvoll ist.

Es ist eine erste Rede, die es in sich hat. Das Plenum hört dabei nicht nur aufmerksam zu; vielmehr gibt es erste Zwischenrufe. Der Protokollant am Rande der Debatte schweigt. Die Glocke bleibt stumm.

Sodann bittet Tobas Pohl die nächste Rednerin ans Rednerpult. Sie beginnt langsam ihre Rede, leise. Dann aber steigert sie sich: Sie erinnert an die Wichtigkeit des Verstehens der Geschichte des Nationalsozialismus. „Gerade deshalb müssen wir jede Gelegenheit nutzen, die sich uns bietet, um unser Wissen um diese Diktatur zu vertiefen!“

Leiser Applaus auf der einen Seite, ablehnendes Gerede auf der anderen Seite. Und dazwischen die Rednerin, die zunehmend energischer auftritt: Auch sie verweist darauf, dass das Lernen nicht nur im Unterricht geschieht; zudem merkt sie an, dass es sich bei der Fahrt nach Nürnberg um eine einmalige Angelegenheit handle, ein Samstag von vielen.

Das Plenum bleibt nicht ruhig. Fair, aber dennoch bestimmt zeigt man der Rednerin an, dass man die Meinung nicht teilt, dass man sie ablehnt…

Es ist keine normale Unterrichtsstunde. Vielmehr brandet eine Debatte auf, die viele Ähnlichkeiten besitzt mit einer Diskussion aus den Plenarsälen in München und Berlin. Selbst die Presse ist dieses Mal anwesend.

Eine weitere Rednerin wird an das Pult gebeten. Sie schaut ihre Vorredner an, sie stimmt den Argumenten ihrer Vorredner zu, sie führt sie aus, sie… Sie bricht ab und verweist auf diejenigen Aspekte, welche die Vorredner nicht gesehen haben, nicht sehen wollten. Es werde gebaut in Nürnberg. Die Fahrt sei lang, der Besuch des Reichsdokumentationszentrums dagegen recht kurz. Man müsse abwägen zwischen dem, was man mit dieser Fahrt erreichen möchte, und dem, was man hierfür aufbringen müsste.

„Möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?“

Die Rednerin stockt, nachdem der Protokollant sie darauf hingewiesen hat, dass eine Schülerin aufgestanden ist und bereit ist, eine Zwischenfrage zu stellen. Sie muss die Zwischenfrage nicht zulassen, sie kann ablehnen und mit ihrer Rede fortfahren. Diese Möglichkeit sieht eine demokratische Plenumsdebatte vor. Sie nickt.

„Es geht ums Lernen, es geht ums Verstehen einer zentralen Epoche der deutschen Geschichte. Muss man da wirklich abwägen?“

„Ja, denn neben der verpflichtenden Fahrt zu einer Gedenkstätte ist die Frage durchaus erlaubt, ob man zusätzlich noch zum Reichsdokumentationszentrum fahren soll.“

Beide schneiden sich sachlich an, beide schauen sich scharf an. Es geht nicht um das Persönliche, vielmehr um die Sache an sich, vielmehr darum, ob man sich als Klassengemeinschaft zu dieser Fahrt durchringen kann. Oder aber nicht.

In dieser Form geht die Debatte weiter. Die Zwischenrufe branden auf, der Protokollant und Sitzungsleiter, Tobias Pohl, geht mit seiner Glocke dazwischen.

Am Ende stimmt die Klasse ab. Man entscheidet sich mit großer Mehrheit gegen die Fahrt zum Reichsdokumentationszentrum. Kurze Stille!

In seine Rolle als Lehrkraft zurückgekehrt ist Tobias Pohl ob des Ausgangs der Debatte traurig. Gerne wäre er nach Nürnberg gefahren… „So aber ist Demokratie!“

Folglich freut er sich darauf, die nächste Debatte zu leiten. Hierbei wird es darum gehen, ob sich die Klasse dazu entschließt, eine kreative Aktion in Coburg durchzuführen.

Das ist Demokratie! Ein neues Thema, eine neue Debatte, eine neue Abstimmung und dazwischen der bereits jetzt stattfindende geregelte Austausch von Argumenten. Das ist Demokratie…