Wohin tendiert die politische Mitte?
Erstes Politisches Café am Gymnasium Alexandrinum in Coburg mit Prof. Dr. Ursula Münch
Auf die Frage, wohin die politische Mitte tendiert, wies Prof. Münch darauf hin, dass die so genannte politische Mitte der Gesellschaft nichts Statisches sei. „Sie ist sehr schwer zu fassen.“, so die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing: „Denn jeder definiert die politische Mitte anders. Derjenige, der von außen betrachtet weiter rechts steht, wird dennoch von sich behaupten, er vertrete die bürgerlich-liberale Mitte.“
Es war ein spannender Auftakt der Reihe „Politisches Café“ zur Vermittlung der politischen Bildung am Gymnasium Alexandrinum in Coburg: Zwischen einem ausladenden Buffet aus Kaffee und Kuchen debattieren die Gäste mit einem Experten zu Fragen der gegenwärtigen politischen Herausforderungen der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Beim Auftakt der Reihe war es eine Expertin, mit der Schülerinnen und Schüler der zehnten Jahrgangsstufe über den Ausgang der Wahl zum Bayerischen Landtag und dessen Einordnung debattierten.
Die Diskussionsrunde konstatierte, dass ein großer Teil der bayerischen wie hessischen Wählerschaft konservative sowie Parteien rechts der CSU bzw. der CDU gewählt haben. Dass die AfD in beiden Ländern einen deutlichen Zuwachs an Stimmen und damit an Mandaten verzeichnen konnte, beschäftigte die Teilnehmer des Politischen Cafés am meisten. Schließlich steht diese Partei unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Das allein weckt Zweifel, ob man der Selbstbeschreibung der AfD als „wertkonservativer“ Partei tatsächlich folgen kann. In beiden Landtagen ist die AfD-Fraktion nun stärkste Oppositionskraft. Damit fallen ihr Privilegien im parlamentarischen Betrieb zu, die angesichts extremistischer Neigungen zumindest eines Teils ihrer Abgeordneten Beobachter sorgenvoll stimmen.
Halte die Brandmauer, fragte die insofern besorgte Runde. Der Begriff Brandmauer formuliere Erwartungen, die zumindest auf der kommunalen Ebene schwierig einzuhalten sei, stellte die Akademiedirektorin fest. „Vor allem auf kommunaler Ebene müssten die seriösen Parteien durchaus mit der AfD zusammenarbeiten“, führte Prof. Münch aus: „Bezeichnend hierbei ist die Situation in Sonneberg. Dort hat man den Kandidaten der AfD zum Landrat gewählt; die davon betroffenen Bürgermeister können die Zusammenarbeit nicht einfach verweigern.“ Ihre Sorge gelte der Frage, wie sich die politische Situation in den sog. neuen Ländern weiterentwickele. In Thüringen bestehe die reelle Chance, dass die AfD die Landtagswahl am 1. September nächsten Jahres gewinne, und das, obwohl Björn Höcke laut eines Gerichtsurteils als „Faschist“ bezeichnet werden dürfe, so Frau Prof. Münch. Infolgedessen müssten die anderen Parteien im künftigen Landtag darüber nachdenken, wie angesichts der Mehrheitsverhältnis eine zukünftige Landesregierung aussehen könne. Positioniere sich die CDU in Thüringen gemäß ihres „Brandmauervorsatzes“ auch weiterhin gegen die AfD, dann könne sie angesichts der zu erwartenden Mehrheitsverhältnisse womöglich ein Bündnis mit der Links-Partei nicht ausschließen. Eine solche Konstellation berge enormes Konflikt- und womöglich sogar Spaltpotential für die CDU.
Im Laufe des Gesprächs diskutiert die politische Kaffeegesellschaft darüber, weshalb sich die Stimmungslage in der Wählerschaft dermaßen verschlechtert habe. So war man sich einig, dass die beiden Landtagswahlen auch Wahlen gegen die Bundesregierung gewesen seien, die Parteien der Ampelregierung ihre Vorhaben demnach auch schlecht oder gar nicht erklärt hätten. Verwiesen wurde auch auf die schlechte Stimmung in der Bevölkerung: Sog. Wohlfahrtschauvinismus, also der Wunsch, sozialpolitische Leistungen möglichst nur den Einheimischen zukommen zulassen, sowie Sozialneid würden breite Teile der bundesrepublikanischen Gesellschaft prägen, so die Professorin. Es sei die Angst, den eigenen Status zu verlieren, das Gefühl, abzugleiten in untere gesellschaftliche Schichten, von denen man sich doch immer habe abgrenzen wollen. Verstärkt worden sei dieses Gefühl, darin war sich die Runde einig, durch die Corona- sowie die Flüchtlingskrise. Beide Krisen haben aus Sicht der Schülerinnen und Schüler dazu geführt, dass sich populistisches und damit ausgrenzendes Denken durchgesetzt habe. Inzwischen verbreite sich das Misstrauen gegen die etablierten Kräfte der Demokratie und sogar gegen die staatlichen Institutionen. Beide Krisen, so Prof. Münch, hätten auch dazu geführt, dass sich der Charakter der Wahlkämpfe verändert habe. „Es ist nicht so, dass die früheren Wahlkämpfe nicht auch mit harten Bandagen geführt worden sind“, so die Professorin: „Man kann aber schon feststellen, dass der jüngste Wahlkampf in Bayern die Tendenzen zur gesellschaftlichen Spaltung verstärkt hat.“ Dies sei nicht nur im Umgang mit der sog. Flugblattaffäre rund um den Spitzenkandidaten der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, zu sehen gewesen. Vor allem der politische Umgang der CSU und der FW mit den bayerischen GRÜNEN sei dafür ein Indiz gewesen.
Am Ende des Politischen Cafés ging es schließlich um die Kernfrage: Müssen wir uns um die freiheitliche demokratische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland Sorgen machen? Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung verwies darauf, dass das Grundgesetz von denen lebe, die es verteidigen würden, wenn es bedroht sei. „Man muss sich aber über eines klar sein. Wer das Grundgesetz aushebeln, wird dafür Mittel und Wege finden“. Eine staatsrechtlich nicht abwegige Möglichkeit stelle die Möglichkeit dar, über einen Umbau des Bundesverfassungsgerichts vorzugehen. Dazu benötige man keine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Der Hinweis von Prof. Münch, dass unsere Verfassung keine letzten Sicherheiten bieten könne, verunsicherte die Schülerschaft durchaus. Eine gewisse Beklommenheit war im politischen Café zu spüren. Was muss der aufrechte Demokrat leisten, um zu verhindern, dass sich wiederholen könnte, was sich nicht wiederholen darf? Eine Frage, die in der Veranstaltung nicht abschließend beantwortet wurde. Eine Frage, bei der man nur hoffen kann, dass die überzeugten Demokraten nicht in ihrer Demokratie einschlafen, um dann in ihrer Diktatur aufzuwachen. Unsere Staatsform mutet der Bürgerschaft einiges zu: Nicht nur Rechte, sondern auch die Pflicht, die Gleichgültigkeit zu überwinden. Auch wer mit der aktuellen Ausprägung der Politik unzufrieden ist, hat nicht das Recht, die Demokratie ihren Feinden auszuliefern. Demokratie befreit den Demokraten nicht davon, sich in ihr zu engagieren, vielmehr fordert sie jeden dazu auf, dass man sich mit der Komplexität der Sachlage auseinandersetzt, dass man sich eine Meinung bildet, dass man diese Meinung vertritt, auch mit der Gewissheit, dass man allein gegen viele steht. Gleichzeitig verlangt die rechtsstaatliche Demokratie uns ab, trotz des politischen Streites den demokratischen „Common Sense“ nicht zu verlassen.
Ist jene Beklommenheit ein Gefühl, das man aushalten muss? Ja! Denn solch ein Gefühl kann zumindest dazu auffordern, sich mit der politischen Situation auseinanderzusetzen und sich darüber Gedanken zu machen, welche Kanäle der Information und Meinungsbildung man wählt: Diejenigen, auf denen Manipulation, Zuspitzung und Lügen an der Tagesordnung sind, oder doch besser diejenigen, wo seriös arbeitende Redaktionen und Journalisten sich um die Annäherung an die Wahrheit bemühen.