Veranstaltung zum Umgang mit Homosexualität und Diversität in Deutschland
Am 31.März berichtete die FAZ, dass Schülerinnen und Schüler in Niedersachen nicht mehr dafür bestraft werden, wenn sie in Schularbeiten das Gender-Sternchen gebrauchen. Es raunte in der Jahrgangsstufe neun, welche am 16. April einer Veranstaltung zur Thematik des Umgangs mit Homosexualität und Diversität beiwohnte, einer Veranstaltung, welche durch das Bündnis „Demokratie leben“ sowie die Stadt Coburg gefördert wird.
Könne man dafür bestraft werden? Was bedeute es, wenn man dafür bestraft werde? Man beschwichtigte kurz die Schülerinnen und Schüler und erklärte sodann den Hintergrund dieser Regelung in einem Land, welches sich als tolerant und als weltoffen bezeichnete, welches, gemessen an Statistiken, kein Problem mit der sexuellen Vielfalt habe. Bereits hier stellt man die Notwendigkeit der Debatte fest. Es gehe darum, in der Sprache gesehen zu werden, so Frau Janneck, Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Es gehe darum, dass Sprache die Wirklichkeit abbilde, oder? Schnell stellt das Podium fest, dass die Debatte um das Gendern eine Scheindebatte darstellt; in Wirklichkeit geht es darum, inwieweit die Sprache welche Wirklichkeit darstellt, was man bereit ist, in der Sprache zu akzeptieren, was man bereit ist, mit der Sprache zu bezeichnen, durch die Sprache zu kommunizieren.
Die jüngsten Statistiken messen den Respekt und die Toleranz der bundesdeutschen Gesellschaft. Sie messen dasjenige, was Menschen angeben, wenn sie zu einem möglichen Fall im Konjunktiv befragt werden. Sie messen nicht die wirkliche Aktion, die wirkliche Haltung, das reale Innere der bundesdeutschen Gesellschaft. Nach wie vor hat ein Großteil der bundesdeutschen Gesellschaft ein Problem damit, wenn sich zwei Männer in der Öffentlichkeit küssen; das sind dieselben, die sicherlich zuvor noch angegeben haben, dass sie tolerant sind, dass sie keine Probleme damit hätten, die Vielfalt der sexuellen Orientierung zu akzeptieren, damit zu leben.
Nach wie vor wabern unter jenem sicherlich ernst gemeinten Deckmantel des Respekts und der Toleranz die alten Stereotype mit, die alten Vorurteile, eine nach wie vor existente Ablehnung gegen das, was nicht dem entspricht, was durch die Mehrheitsgesellschaft als normal bezeichnet wird. Noch immer hat der Großteil der Gesellschaft Probleme damit, die sexuelle Vielfalt in der Öffentlichkeit nicht als störend zu empfinden.
In diesem Zusammenhang weist Herr Bankwitz, Vertreter des Vereins für Vielfalt in Sport und Gesellschaft, darauf hin, dass die Diskriminierung von Homosexuellen und Diversen in Deutschland mittlerweile abgebaut werde, dass Homosexuelle in Deutschland sehr gut leben könnten. So verweist er darauf, dass sein Lebensgefährte in Südamerika anderen Formen der Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt ist. Besucht er seinen Lebensgefährten in Kolumbien, weiß er, dass er bestimmte Straßen meiden muss, dass er sich auf sein Bauchgefühl verlassen muss, dass er aufpassen muss … Ein solches Verhalten müsse er in Deutschland nicht an den Tag legen.
Gleichwohl aber treibt ihn die Sorge um: Er weist darauf hin, dass die Straftaten gegen Homosexuelle in Deutschland seit Jahren zugenommen hätten. Erschütternd sei, dass die offiziellen Zahlen viel zu niedrig seien, dass die Dunkelziffer der Straftaten gegen Homosexuelle erheblich höher liegen müsse. Dies liegt daran, dass nicht jede Straftat durch die Opfer angezeigt wird, da die Opfer in Angst leben; Angst davor, ungewollt geoutet zu werden, aber auch Angst davor, von der Polizei nicht richtig wahrgenommen, nicht richtig behandelt zu werden. Man lebt in Deutschland zwar sicher, aber der Begriff der Sicherheit ist ein relativer Begriff. Leider noch immer!
Trotz aller Bemühungen um die Gleichstellung von Homosexuellen mit Heterosexuellen werden die Homosexuellen nach wie vor auch in Deutschland diskriminiert. Die Diskriminierung hängt ab vom Alter, dem Geschlecht und der Bildung, so das Ergebnis einer Studie. Zumeist Menschen im hohen Alter, zumeist Menschen mit niedriger Bildung, zumeist Männer … Ein problematischer Mix, der schnell und leichtfertig zu homophoben Haltungen führen kann.
Ein schwieriges Gemisch, dem nur schwer beizukommen ist. Allein die Tatsache, dass es nach wie vor bestimmte gesellschaftliche Bereiche gibt, die im Volksmund von jenen Entwicklungen unberührt bleiben sollen, bleiben müssen, zeugt davon, dass es schwierig ist, bisweilen unmöglich, derartige Bereiche in die Realität zu überführen. Man stelle sich nur vor, dass all diejenigen Fußballprofis sich outen würden, die in der ersten und der zweiten Liga kicken.
Muss Schule dann nicht mehr tun? Frau Heck von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg stimmt der Frage zu, stellt aber ernüchtert fest, dass es schwierig sei, denn trotz aller gepredigten Toleranz werden tradierte Bilder, alte Muster weitergegeben, nicht unbedingt absichtlich, dennoch aber so, dass die eine Gesellschaft die andere Gesellschaft in den Traditionen und Werthaltungen erzieht, in denen die eine Gesellschaft bereits erzogen worden ist. Es ist wie eine stille Übereinkunft, ein nicht ausgesprochener Code zwischen den Generationen, zwischen den Gesellschaftsmitgliedern, so scheint es.
Auf die Frage danach, warum man diesen Kreislauf nicht durchbrechen kann, verweist das Podium auf die strukturelle Diskriminierung der Homosexuellen in Deutschland. Nach wie vor existieren homosexuelle Lebensentwürfe in der Gesellschaft nur marginal, wenn überhaupt. In Filmen, der Werbung, in vielen Bereichen werde das typische Bild der Familie gezeigt und dadurch transportiert, unkommentiert weitergegeben, unkommentiert gelebt; als ob es neben diesem Modell der Mehrheitsgesellschaft kein Modell der Minderheitsgesellschaft gebe. In der Fachliteratur unter dem Begriff des strukturellen Heterosexismus bekannt, erlaubt dieser keine anderen Lebensentwürfe neben sich, so scheint es.
Genau das müsse, so das Podium, durchbrochen werden, genau das müsse hinterfragt und erweitert werden. Es geht um das Nebeneinander unterschiedlicher, gleichberechtigter Lebensentwürfe. Und davon ist man in Deutschland trotz aller Bemühungen um Gleichberechtigung noch immer weit entfernt.
Im Anschluss an das Podium sprachen die Klassen das Thema jeweils mit einem Referenten noch genauer durch. Sie fragten und fragten und fragten! Das Interesse der Schülerinnen und Schülerschaft an dieser Thematik war und ist sehr groß. Es scheint, als könne diese Generation diesen Kreislauf durchbrechen, als trete diese Generation heraus aus der blinden Weitergabe von Traditionen und Lebensentwürfen, als betrete diese Generation Neuland … Als erobere diese Generation jene Insel, die wir als Gleichheit aller vor allen bezeichnen.
Es wäre zu wünschen!
OStR Tobias Pohl