Die Veränderung der Demokratie unter dem Druck des Populismus
Zweites politisches Café mit Prof. Decker, Universität Bonn
Zwischen Lebkuchen, Plätzchen, Kaffee und Tee entfaltete sich am Dienstag, dem 12.12.2023, eine Debatte zur Frage, inwieweit der Rechtspopulismus die bundesrepublikanische Demokratie verändert. Prof. Frank Decker von der Universität Bonn, ein politikwissenschaftlicher Fachmann zur Populismusforschung, diskutierte diese Frage angeregt mit Schülerinnen und Schüler der zehnten Jahrgangsstufe im zweiten politischen Café des Gymnasiums Alexandrinum in Coburg.
Im Zuge der Veranstaltung entwarf der Bonner Politikwissenschaftler ein nüchternes, ein düsteres Bild. Derzeit liegt die AfD in den Umfragen in Thüringen, in Sachsen und in Brandenburg bei grob dreißig Prozent; ein mulmiges Gefühl in der Runde trotz der süßen Leckereien und des warmwohligen Tees und Kaffees, denn in allen drei Bundesländern wird im nächsten Jahr gewählt. Dass die AfD jeweils dreißig Prozent erhalte bei den Landtagswahlen, sei nicht unwahrscheinlich, so Prof. Decker: „Schafft die AfD dieses Wahlergebnis, dann kann sie zwar nicht die jeweiligen Verfassungen ändern, aber sie kann jede Verfassungsänderung blockieren, also auch jede Änderung, die gegen sie als Fraktion und als Partei gerichtet ist.“
Der Politikwissenschaftler machte in seiner Eröffnung darauf aufmerksam, dass sich die bundesrepublikanische Gesellschaft in einer Zeit tiefer Verunsicherungen befindet: So verwies er auf die Globalisierung und eine damit einhergehende Angst vor einem möglichen Identitätsverlust im Zuge globaler Märkte, Ideen und Werte; ebenso erinnerte er an die Klimakrise, aber auch an die Vielzahl der anderen Krisen, welche die deutsche Gesellschaft nicht nur herausgefordert haben, sondern welche Sorgen und Ängste heraufbeschworen haben, die es nunmehr unmöglich zu machen scheinen, positiv in die Zukunft zu schauen. „Es ist ein Pessimismus entstanden, welcher der AfD in die Karten spielt, ein Reservoir an unzufriedenen, verängstigten Wählern, die sich nicht mit der Komplexität der Gegenwart auseinandersetzen möchten, sondern vielmehr mit den einfachen Wahrheiten populistischer Parteien abfinden wollen.“
Das einfache Schwarz-Weiß-Gepinsel der AfD, das Anzeigen von politischen Problemen in allen essentiellen Politikfeldern, aber das Schuldigbleiben von ansprechenden Lösungen. Es ist eine Mixtur, so scheint es und so wird es den Besuchern des politischen Cafés relativ bald klar, die den Blick für das Notwendige versperrt, die den Mut verhindert, die Probleme sinnvoll anzugehen und mit politisch ansprechenden und zukunftsträchtigen Konzepten zu lösen.
„Die gesellschaftlichen Konflikte“, so Prof. Decker, „sind Konflikte, die eine Demokratie aushalten muss.“ Aber den gesellschaftlichen Konflikten fehlt die gemeinsame Basis des Diskurses, so scheint es; die gesellschaftlichen Konflikte entwickeln sich zu scheinbar existentiellen Konflikten, sei es mit Blick auf die ökonomischen Verteilungskonflikte, sei es mit Blick auf die Wertekonflikte. Unsere Demokratie läuft Gefahr, sprachlos zu werden: Als ob die einen mit der einen Sprache sprechen, die anderen mit einer anderen Sprache und das einstmals Verbindende, Fakten und gemeinsam geteilte Wahrheiten, langsam erodiert, verschwindet unter dem Druck populistischer Gelegenheitsdemagogen.
Fast 80 % der deutschen Bevölkerung haben kein Vertrauen in die Zukunft; der Gesellschaft fehle eine positive Erzählung einer Zukunft, so der Bonner Wissenschaftler. Verstärkt wird dieser gesellschaftlich weit verbreitete Pessimismus durch den derzeit anhaltenden Wandel in so vielen gesellschaftlichen Bereichen, in der Wirtschaft, den Medien, den Werten. Infolgedessen sind die Debatten keine Debatten mehr, vielmehr gleichen sie Kulturhahnenkämpfen, die entweder das Faktische vermissen lassen oder jede Begrenzung, jede Form von Anstand, Sitte und Austausch. So ist die Debatte um das Gendern ein Beweis, aber auch die Diskussionen hinsichtlich des Klimas, der Frauenrechte, des Umganges mit Homosexuellen etc. In den Debatten streiten nicht mehr Kontrahenten mit unterschiedlichen Ansichten, in den Debatten fechten unterschiedliche Ängste und Sorgen, als ob die Debatte Teil einer größeren gesellschaftlichen Auseinandersetzung darstelle. Als ob sich gesellschaftlich gegensätzliche Lager gegenüberstünden, die einander nur noch als Feinde sehen, nicht aber das miteinander zu lösende Problem.
„Die demokratischen Parteien haben es versäumt, auf derartige Herausforderungen Antworten zu geben“, so eine Schüler*in im Zuge der Debatte: „Infolgedessen hat eine AfD lediglich die Freiräume ausgefüllt, welche die demokratischen Parteien nicht haben füllen wollen.“ Dem stimmte Prof. Decker zu und machte zudem deutlich, dass die Union, aber auch andere konservative Parteien, nunmehr versuchen, diese freien Räume neu zu besetzen. Dabei wies er aber auf Gefahren hin: „Benutzen die demokratischen Parteien lediglich die Parolen der Rechtspopulisten, dann machen sie deren Slogans salonfähig, und dürfen sich nicht wundern, wenn diese rechten Parteien zunehmend weitere Stimmen erlangen, gar als bürgerlich wahrgenommen werden.“
Die Ratlosigkeit der anderen Parteien im Umgang mit der rechtspopulistischen AfD zeigt sich aber auch darin, dass die AfD die Klaviatur der sozialen Medien bestens beherrscht. „Gerade diese Kanäle bedient die AfD doch in Perfektion.“, so ein Schüler im Zuge der Debatte. Und versuchen sich die etablierten Parteien mit den neuen Medien, dann wirken deren Umsetzungen eher unbeholfen, deren Angebote eher als Unfall eines digitalen Möchtegernmodernen.
„Und natürlich hat die AfD die Krisen genutzt, um sich im Bewusstsein weiter Teile der Bevölkerung zu etablieren.“, so eine Schülerin.
Doch wie geht man um mit einer zunehmend ansteigenden Beliebtheit der AfD? Sind es noch die klassischen Protestwähler, wie eine Schülerin fragt?
„Nicht nur!“, so der Politikwissenschaftler. In den neuen Bundesländern kommt man mit dieser Lesart nicht weit; ebenso schwierig wird es langsam in den alten Bundesländern. Es sind nicht mehr die klassischen Protestwähler; vielmehr sind es Wähler, die mittlerweile genau wissen, wen sie wählen, denkt man dabei daran, dass mittlerweile drei AfD-Landesverbände als gesichert rechtsextrem eingestuft werden, denkt man daran, dass man Björn Höcke als Faschisten bezeichnen kann, denkt man sogar daran, dass in Bayern ein eindeutiger Rechtsextremer, der AfD zugehörig, in den Landtag gewählt worden ist.
Doch soll man die Partei deswegen verbieten? „Hier ist nicht das politisch Richtige sinnvoll“, so der Professor: „Hier ist das politisch Pragmatische geraten.“ Eine Partei, die von so vielen Menschen gewählt wird, deren Programm von so vielen Menschen toleriert wird, eine solche Partei, deren Verbalisierenden lediglich das erschütternde Denken breiter Teile der deutschen Bevölkerung vermündlichen und hinausposaunen, eine solche Partei kann man nicht so einfach verbieten – obschon mittlerweile die Beweislage recht eindeutig ist.
Es gehe hier eher um pragmatische Ansätze, so Decker. Derzeit wird geprüft, ob man einzelne Landesverbände, nicht die gesamte Partei, verbieten kann; ebenso wird geprüft, ob man bestimmten Personen wie dem Faschisten Höcke die Grundrechte entziehen könnte, eine Möglichkeit der Verfassung, die bisher noch ungenutzt ist.
Mittlerweile, so scheint es, weitet sich die Ratlosigkeit breiter Teile der Wissenschaft und der engagierten Demokraten aus: Trotz der Tatsache, dass die Verfassung das Parteienverbot als Möglichkeit verankert hat, ist den Schützern der Demokratie, der Menschenrechte und des Liberalismus, diese starke Waffe unserer wehrhaften Verfassung versperrt. Denn die AfD ist bedauerlicherweise nur so stark, weil es Menschen gibt, die sie trotz der offenkundigen rechtsextremen Haltung weiter Teile dieser Partei wählen – sie sogar als bürgerlich bezeichnen. Und die Augen verschließen vor jenen Andeutungen, welche auf eine Wiederholung der Geschichte abzielen, die Augen verschließen vor den Verführungen, welche auf ein Leben rekurrieren, dass nicht mehr als frei, nicht mehr als demokratisch bezeichnet werden kann.
Trotz der Plätzchen, des Tees und der eigentlich gemütlichen Adventsstimmung ging man am Ende tief berührt aus der Veranstaltung.
Denn die Frage bleibt: Wie können wir verhindern, was uns möglicherweise droht? Wie können wir aufhalten, was immer deutlicher vor uns erscheint?
Es scheint, die Mahnenden und Rufenden würden nicht gehört, die Warnungen ignoriert; als habe sich ein Schatten der Vergangenheit lähmend über so viele Menschen gelegt und sucht nunmehr auch nach denen zu greifen, die sich vehement gegen diesen fatalistischen Strom zu stellen wagen.